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Soziale Digitale Marktwirtschaft und fairer, freier und offener Diskurs im Netz - zur Verantwortung und Regulierung digitaler Plattformen

Gemeinsame Positionierung zum Digital Services Act und Digital Markets Act Package der Europäischen Kommission

17. Dezember 2020

Die eCommerce-RL hat seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2000 dazu beigetragen, dass die Grundlagen für eine wettbewerbsfähige und innovative Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft gelegt wurden. Insbesondere Plattformen haben sowohl bei der Kommunikation zwischen Menschen als auch beim Austausch von Gütern und Dienstleistungen immens an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung hat bei allen positiven Effekten auch schwerwiegende negative Auswirkungen auf unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben. Zwei Trends wollen wir dabei dringend regulatorisch entgegentreten:


Zum einen hat sich der öffentliche Diskurs in den letzten zehn Jahren durch die umfassende Verbreitung Sozialer Medien massiv verändert. Große Teile der öffentlichen Debatten haben sich in den digitalen Raum verlagert. Neben vielen Vorteilen ergeben sich dadurch auch neue Problemlagen. So ist die öffentliche Debatte anfälliger geworden für das Ausblenden anderer Meinungen (in Filterblasen und Echokammern), aber auch für die Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung. Auf diese Gefahren bedarf es einer aktiven und wirkungsvollen regulatorischen Antwort. In Deutschland hat man diese bereits mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegeben (NetzDG), das in den letzten Jahren weiterentwickelt wurde. Es bedarf nun auch einer einheitlichen europäischen Antwort. Dabei müssen die Errungenschaften der eCommerce-Richtlinie, aber auch des deutschen NetzDG erhalten und auf europäischer Ebene weiterentwickelt werden. Der von der EU-Kommission angekündigte Digital Service Act bietet dazu Gelegenheit.


Zum anderen haben digitale Plattformen eine immer größere Bedeutung im Wirtschaftsgeschehen. Unter den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt finden sich heute größtenteils Tech-Konzerne, die digitale Plattformen betreiben. Dabei haben insbesondere Netzwerkeffekte diese Marktposition begünstigt. Der dadurch geschaffene Datenreichtum dieser Konzerne sorgt gegenüber anderen Unternehmen für einen großen Wettbewerbsvorteil. So ist es für Unternehmen mit einer solch herausragenden Stellung vergleichsweise leicht, ihre Marktpositionen auf benachbarte Märkte zu übertragen. Ihre Marktmacht ist mittlerweile derart groß, dass sie kaum noch von anderen Unternehmen - ob von Start-ups, Mittelständlern oder Großkonzernen - bestritten werden kann. In Zeiten der Corona-Pandemie wurde ganz besonders deutlich, wie systemrelevant diese Plattformen für weite Teile des Handels sind, insbesondere im B2C-Bereich. Diese Entwicklung hin zu einer geballten Konzentration von Marktmacht gefährdet die Innovationskraft unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist mit den Zielen und Werten (einer ordoliberalen Wirtschaftspolitik und) der Sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. In Deutschland wird dieser Entwicklung mit der zehnten GWB-Novelle begegnet. Aber auch diese Herausforderung bedarf einer gemeinsamen und einheitlichen Antwort auf europäischer Ebene. Diese kann durch den Digital Markets Act (DMA) erfolgen.


Unser Ziel ist es, den freien Diskurs in Sozialen Medien zu erhalten. Dazu müssen die Plattformen effektiv und zielgerichtet gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen. Das deutsche NetzDG kann dabei als Blaupause dienen. Hinter diese Standards dürfen wir nicht zurückfallen. Sie müssen europaweit in allen Mitgliedsstaaten gelten. Darüber hinaus bleibt die Vollendung des digitalen Binnenmarktes in Europa unser Ziel. Wir müssen die Soziale Marktwirtschaft in das Digitale Zeitalter führen und neue Regeln schaffen, um der Macht der Tech-Giganten entgegenzutreten und im Wettbewerb wieder ein Level-Playing Field zu schaffen. Damit stärken wir das Start-up-Ökosystem in Europa und die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit dieses Kontinents. Gleichzeitig wollen wir europäische Werte in der Digitalisierung verankern. Wir müssen sicherstellen, dass digitale Plattformen transparent darstellen, wie und warum Inhalte angezeigt oder Produkte und Dienste dem Nutzer auf ihren Seiten empfohlen werden. Einen „Algorithmen-TÜV“ allerdings lehnen wir entschieden ab. Und wir wollen sicherstellen, dass bestehende, nationale Strukturen der Aufsicht und Überwachung (Bundesamt für Justiz, Landesmedienanstalten, aber auch Bundeskartellamt etc.) erhalten bleiben. Damit kann der Vielfalt föderaler Strukturen in Europa und Deutschland Rechnung getragen werden. Gleichzeitig bedarf es einer gesamteuropäischen Koordinierung, um Wettbewerbsregeln einheitlich durchzusetzen. Wir fordern die Europäische Kommission auf, die folgenden Punkte bei der Ausarbeitung des DSA und DMA zu berücksichtigen:


Unsere Forderungen an die Ausgestaltung des Digital Services Act (DSA)


1) Wir wollen nicht hinter die positiven Errungenschaften der eCommerce RL zurückfallen, soweit diese für die Innovationsfähigkeit in der digitalen Welt erforderlich sind. Gleichzeitig muss der Schutz der Nutzerinnen und Nutzer gewährleistet werden. Dazu gehört sowohl der Erhalt des Notice and Action Verfahrens, als auch die Frage einer Haftungsausnahme für Internet Service Provider, jedenfalls dann, wenn diese lediglich eine neutrale oder passive Rolle spielen.


2) Wir wollen einheitliche Mindeststandards für nationale Regelungen gegen illegale Inhalte im Netz als Grundvoraussetzung für alle Plattformen, die ihre Dienste im European Digital Single Market anbieten. Dabei müssen die Regelungen des DSA vor den Community-Standards sozialer Netzwerke gelten.


3) Bei kritischen Abgrenzungsfragen hinsichtlich der Löschung von Inhalten sollten diese prinzipiell weder vom Staat noch von den Plattformen getroffen werden, sondern von pluralistisch besetzten Gremien der regulierten Selbstregulierung, wie sie in Deutschland im Medienrecht oder im NetzDG vorgesehen sind. Der Rechtsweg bleibt weiterhin eröffnet.


4) Wir wollen einen einheitlichen Markt auch für Medieninhalte ermöglichen. Dabei gilt für uns das Primat der Pressefreiheit. Meinungsvielfalt und Pluralismus sind Grundpfeiler freier, offener Gesellschaften. Mechanismen wie die regulierte Selbstregulierung bzw. Ko-Regulierung können helfen, diese sicherzustellen. Es darf für Medien jedoch keine doppelte Regulierung geben.

5) Wir wollen europaweit standardisierte Meldewege zur Beschwerde bei strafbaren Inhalten im Netz. Bei systemischen Verstößen kann auch eine Verpflichtung der Plattformen zu weiteren, proaktiven Maßnahmen in Frage kommen, soweit diese verhältnismäßig sind.
 

Für nicht strafbare, jedoch gefährliche Inhalte („harmful content“) ist eine Regelung zu finden, die die europäische Zivilgesellschaft einbezieht und sich an europäischen Grundrechten orientiert.


6) Wir wollen die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern im Netz stärken. Analog zum deutschen NetzDG fordern wir wirksame, faire und rasche Gegendarstellungs- und Beschwerdeverfahren sowie außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen der Plattformen.


7) Wir setzen auf eine klare Verpflichtung im DSA, dass Plattformen Maßnahmen gegen Overblocking und gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorsehen müssen, um das Recht auf freie Rede online und in sozialen Netzwerken zu stärken.


8) Es ist ein klares und effizientes Verfahren für die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten vorzusehen, um sicherzustellen, dass illegale Inhalte nicht nur entfernt werden, sondern dass auch, soweit notwendig, eine Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden erfolgen kann.


9) Wir wollen die freiwillige Nutzung verifizierbarer, digitaler Identitäten – sowohl im Bereich der Digitalisierung der Verwaltung, aber auch in bestimmten Segmenten des E-Commerce Bereichs – erleichtern.


10) Wir fordern klare Berichtspflichten der Diensteanbieter, die eine strukturierte Analyse z.B. der Löschtätigkeiten möglich machen. Einen Algorithmen-TÜV oder die Verpflichtung zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen lehnen wir ab. Startups und KMU sollten von überbordenden Berichtspflichten ausgenommen werden.


11) Wir sprechen uns für einen umfassenden Datenzugang für die Wissenschaft im Rahmen einer Forschungsklausel, aus. Forschung und Wissenschaft, aber letztendlich auch der Gesetzgeber und die Öffentlichkeit müssen einen Einblick bekommen, wie Phänomene wie Echokammern, mögliche politische Manipulation über soziale Medien, die Auswirkungen von Hass und Hetze sowie die Polarisierung im Netz entstehen und funktionieren.


12) Wir wollen die Interoperabilitätsverpflichtung für OTT-Dienste-Anbieter kodifizieren. Die grenzenlose Kommunikation über verschiedene Anbieter und Messengerdienste hinweg muss ermöglicht werden, soweit dies nicht bereits im Europäischen TK-Kodex festgeschrieben wurde. Hierzu sollte auch geprüft werden, ob ggf. eine weitere Festlegung technischer, allgemeinverbindlicher (Mindest-) Standards möglich und erforderlich ist.


13) Der DSA muss als horizontaler Regelungsansatz konzipiert sein, in den sektorale Regulierungen integriert werden können. Die Reichweite des DSA sollte alle Plattformen betreffen, die ihre Dienste im europäischen digitalen Binnenmarkt anbieten. Wir wollen die Anbieter verpflichten, einen Zustellungsbevollmächtigten in der EU zu bestimmen.


Unsere Forderungen an die Ausgestaltung des Digital Markets Act (DMA)


1) Für Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung (Gatekeeper) müssen gesonderte Wettbewerbsregeln gelten. Diese Regeln sollen ex-ante greifen und haben dem fairen Wettbewerb der Plattformunternehmen mit Dritten sowie dem fairen Wettbewerb auf der Plattform zu dienen und sind in einer Verordnung festzuhalten. Damit werden die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft in der Digitalwirtschaft implementiert und ein Beitrag zur Vollendung des Europäischen Digitalen Binnenmarktes geleistet.


2) Welche Plattform unter eine solche Verordnung zu fallen hat, soll sich sowohl an der Größe der Plattform (Nutzerzahlen), ihrer Bedeutung für Unternehmen und Verbraucher für den Marktzugang, sowie an der Stabilität und Langfristigkeit dieser herausgehobenen Stellung im Markt festmachen. Weitere Kriterien sollten der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und zu (finanziellen) Ressourcen sowie die vertikale Integration des Unternehmens sein. Insbesondere bei B2C-Märkten kann auch die aktive Nutzungszeit der Plattform durch Verbraucher Berücksichtigung finden.


3) Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung ist die Selbstbevorzugung eigener Angebote oder Dienste zu untersagen. Dies gilt sowohl beim Ranking bzw. bei der Darstellung von Produkten oder Services sowie auch in bei der Abrechnung (App-Store Gebühr).


4) Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung ist die Behinderung der Interoperabilität von konzerneigenen Produkten und Services zu Angeboten Dritter zu untersagen. Unter anderem muss dem Nutzer die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Daten in Echtzeit und maschinenlesbarer Form an Dritte zu übermitteln.


5) Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung sind Bündelungspraktiken sowie Maßnahmen zu untersagen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindert. Dazu gehören z.B. Verträge zur ausschließlichen Vorinstallation von Software des Gatekeepers auf eigener oder Hardware Dritter oder die Behinderung von Unternehmen, ihre Produkte und Services auf anderen Vertriebskanälen dem Kunden zur Verfügung zu stellen. Dem Endkunden ist zudem die Möglichkeit einzuräumen, diese Angebote und Services deinstallieren zu können, sofern es sich nicht um Anwendungen handelt, die für grundlegende Funktionen des Geräts notwendig sind. Zudem sollte die Nutzung eines Produktes des Unternehmens nicht automatisch die Nutzung eines weiteren Angebotes des Unternehmens voraussetzen. Somit soll dem Hebeln von Marktmacht auf andere Märkte entgegengetreten werden.


6) Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung ist die Verhinderung des Zuganges von Wettbewerbern zu wettbewerbsrelevanten Daten zu untersagen. Zudem darf mithilfe dieser Daten keine Marktzutrittsbarriere für andere Unternehmen errichtet werden. Auch soll Unternehmen, die ihre Angebote den Kunden über den Gatekeeper anbieten, nicht der Zugang zu Daten verwehrt werden, die das Unternehmen benötigt, um den Erfolg der erbrachten Leistung zu evaluieren.


7) Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung muss der Zukauf von Unternehmen – insbesondere Start-ups – untersagt werden können. Kartellbehörden sollten solche Fusionen insbesondere dann verbieten, wenn die Innovationskraft des Wettbewerbs damit nachhaltig geschädigt wird. Damit soll die Praxis der sogenannten „Killeraquisitions“, mit denen Plattformunternehmen systematisch Wettbewerber am Markt aufkaufen, unterbunden werden.


8) Um eine zukunftsweisende und technologieoffene Regulierung von Gatekeeper-Plattformen sicherzustellen, sollten die Verbotstatbestände nicht ausschließlich in Form von Regelbeispielen, sondern auch in Form abstrakt ausformulierter Rechtsnormen formuliert sein. Um mit den dynamischen Entwicklungen digitaler Plattformökonomien regulatorisch Schritt zu halten, sollte zudem das Instrument einer sachlichen Rechtfertigung Eingang in den DMA finden.


9) Beim Umgang mit Gesundheitsdaten ist besondere Sensibilität gefragt. Angesichts der Möglichkeiten von Gatekeeper-Plattformen zur Profilbildung sowie zur Deanonymisierung und Depseudonymisierung von Daten bitten wir die Kommission zu prüfen, inwiefern der Besitz und die Verarbeitung von Gesundheitsdaten durch diese Unternehmen der Regulierung bedarf. Dies kann im Rahmen des DMA, jedoch auch im Zusammenhang mit anderen Regulierungsvorhaben geschehen.


10) Die Aufsicht über die Einhaltung dieser Regeln ist europäisch zu vereinheitlichen. Dies kann sowohl durch ein Netzwerk nationaler Regulierungsbehörden als auch durch eine EU-Wettbewerbsbehörde umgesetzt werden.


11) Um das Tipping von Märkten frühzeitig zu verhindern, muss EU-weit für die Begleitung der Digitalisierung der Märkte gesorgt werden. Informationen über Marktentwicklungen sowie technische Entwicklungen müssen gesammelt und aufbereitet werden und mit einem entsprechenden Netzwerk mitgliedstaatlicher Einrichtungen koordiniert werden.